Samstag, 22. Oktober 2011

Herr Maus zieht in die große Stadt

In Dänemark weiß man es ja schon seit geraumer Zeit: Micky ist unbeliebt. Die Ergebnisse von zahlreichen hochwissenschaftlichen Erhebungen der Egmont-Marktforschungsabteilung ließen bereits Ende der 90er Jahre keinen anderen Schluss mehr zu. Damals reagierte man auf diesen alarmierenden Befund, indem man den Mäuserich einer Lobotomie unterzog, um währenddessen in aller Ruhe seinen Kleiderschrank neu bestücken zu können. Da sich jedoch beide Maßnahmen in der Folgezeit als völlig wirkungslos erwiesen, hat man bei Egmont mittlerweile resigniert und den Nager als hoffnungslosen Fall abgetan. Schließlich wurde ja alles nur Erdenkliche versucht!
Etwas anders sieht es in Italien aus: Obwohl man auch dort inzwischen zu der Erkenntnis gelangt ist, dass Micky ein Imageproblem hat, wurde von einer radikalen Neukonzipierung der Figur bisher Abstand genommen. Die Serie "Topolinia 20802" kann zwar als erster Schritt in diese Richtung gedeutet werden, vom dänischen Radikalismus unterscheidet sie sich allerdings schon allein dadurch, dass hier Könner am Werk waren.


So sind mit Fausto Vitaliano, Alberto Savini, Casty sowie Lorenzo Pastrovicchio einige der ambitioniertesten Disney-Künstler Italiens an dem Projekt beteiligt, welches ungeahnte Facetten der Maus zum Vorschein bringt, ohne die Figur dabei zu vergewaltigen. Der Ansatz ist  ebenso einfach wie naheliegend: Nicht Micky wird verändert, sondern sein Umfeld.

Ausgangspunkt der Story ist eine Identitätskrise des Protagonisten: Micky stellt fest, dass er bisher trotz aller Erfolge nie über die Rolle des talentierten Amateurs hinausgekommen ist. Um sich selbst zu beweisen, dass er das Zeug dazu hat, einer geregelten Arbeit nachzugehen, aber auch um aus der Routine seines allzu beschaulichen Vorstadtlebens auszubrechen, trifft er daher den Entschluss, in die City zu ziehen und sich als Journalist zu versuchen. Schnell muss er jedoch erkennen, dass der Weg zu beruflicher Anerkennung steiniger ist als erwartet.
Historisch betrachtet kommt man nicht umhin, Micky ein gehöriges Maß an Berufserfahrung zuzusprechen. Bereits in Gottfredsons "Editor-in-grief" kam er mit der Welt des Journalismus in Berührung und auch in späteren Storys war er das eine oder andere Mal als Reporter im Einsatz. Sein investigatives Talent dürfte ohnehin unbestritten sein. Und doch findet er sich in seinem neuen Job in der Rolle des Lehrlings wieder. Statt Sensationsreportagen warten auf ihn Artikel über Schlaglöcher und mathematisch begabte Hauskatzen.


Sein Ruf scheint noch nicht weit genug vorgedrungen zu sein. Und so muss sich Micky in "Topolinia 20802" - welches übrigens auch der Name des Bezirks ist, in dem er nun unter der Woche lebt - von Grund auf neu beweisen. Dass er anfangs mit Anpassungsschwierigkeiten zu kämpfen hat, erschwert dieses Unterfangen zusätzlich. Er ist das Leben in der Großstadt offensichtlich nicht gewohnt. Hier herrschen andere Regeln, die es zu verinnerlichen gilt, wenn man sich durchsetzen möchte. Entsprechend ergeben sich dann in den ersten Folgen auch immer wieder Situationen, wie man sie aus klassischen Fish-out-of-Water-Komödien kennt. Und obwohl dieser Aspekt der Handlung auf der unplausiblen Prämisse beruht, dass Micky ein naives Landei ist, wird der Lesespaß nicht nachhaltig getrübt, was in erster Linie dem hervorragenden Skript zu verdanken ist.

Übersetzung

"Topolinia 20802" vereint viele Genres in sich, zeichnet sich aber vor allem durch ausgeprägten Wort- und Bildwitz aus. An vielen Stellen arbeiten die Autoren mit Kontrasten, welche vor allem Mickys komische Seiten deutlich zu Tage treten lassen: Dieser wirkt im Vergleich zu seinen mit den Gesetzen der Großstadt vertrauten Mitmenschen oft rührend einfältig. Ob nun beim Lösen einer Fahrkarte, beim Bestellen eines Kaffees oder beim Versuch, seine neuen Kollegen mit einer Rede zu beglücken - stets sticht er durch sein Verhalten aus seiner Umgebung hervor. Verstärkt wird dieser Aspekt durch eine Reihe von Gags, die auf Mickys geringe Körpergröße anspielen und dem Leser vor Augen führen, dass sich der Mäuserich in einer Welt bewegt, die zu groß für ihn ist.


Obgleich wie erwähnt die heiteren Momente überwiegen, kommt auch das kriminalistische Moment nicht zu kurz. Am eindrucksvollsten sind aber fraglos jene Szenen, in denen Micky seine eigenen Fähigkeiten hinterfragt. Immer wieder muss er nämlich Rückschläge einstecken, die ihn beinahe dazu bewegen, aufzugeben. Nun sind Selbstzweifel und Versagensängste Gefühle, die man von dieser scheinbar perfekten Figur eigentlich nicht erwarten würde. Vielleicht war sie in der Vergangenheit einfach zu erfolgsverwöhnt und hat es infolgedessen verlernt, mit Niederlagen umzugehen? Welche Interpretation man auch wählt: Die Charakterisierung wirkt glaubwürdig, da das an einigen Stellen vorherrschende Moment der Ohnmacht sowohl auf der erzählerischen als auch auf der bildlichen Ebene prägnant zum Ausdruck gebracht wird. Hierfür finden verschiedene Verfahren Anwendung, von denen mir eines ganz besonders ins Auge gefallen ist: Immer wieder spiegelt sich die emotionale Befindlichkeit des Protagonisten in der Verfasstheit seiner Umgebung. Der Blick auf die majestätische Skyline verbildlicht Augenblicke von Hoffnung, das undurchdringliche Dunkel des U-Bahn-Tunnels hingegen das Gefühl der Verzweiflung.


Humor, Crime und Tiefgang sind demnach vorhanden. Was aber noch wichtiger ist: Wie jede gute Serie verfügt "Topolinia 20802" über originelle Nebenfiguren. Statt mit den üblichen Sidekicks und Widersachern bekommt es Micky hier mit einer Reihe schräger Typen zu tun, auf die er sich erst langsam einstellen muss. Das hat zum einen zur Folge, dass die Routine eingespielter Handlungsabläufe durchbrochen wird, es führt zum anderen aber auch dazu, dass sich Micky plötzlich in ungewohnten Rollen wiederfindet. Beispielhaft hierfür ist die Lehrlings-Meister-Beziehung, in welcher er zu seinem Chef Crosby steht. Nicht ganz so vertrauensvoll ist das Verhältnis zu seinem Vermieter, zumal sich dieser schnell als ein ebenso fauler wie dreister Halsabschneider erweist. Kurz gesagt: Eine Figur nach meinem Geschmack! Dementsprechend darf eine kleine Kostprobe natürlich nicht fehlen.


Das geübte Auge wird Castys Zeichenstil sofort erkannt haben. Sein großes Vorbild ist bekanntlich Romano Scarpa, in dessen Tradition auch der dieses Frühjahr verstorbene Giuseppe Dalla Santa stand, welcher die zweite Folge der vierteiligen Staffel umgesetzt hat. Anderen Stilrichtungen gehören hingegen Ghiglione und Pastrovicchio an, was einem vor allem dann auffällt, wenn man die Story an einem Stück durchliest. Aller zeichnerischen Uneinheitlichkeit zum Trotz hinterlässt das Artwork jedoch einen insgesamt runden Eindruck. Einer der Gründe hierfür ist sicherlich die Kolorierung, erzeugt sie doch jene Großstadt-Atmosphäre, die der Serie ihr charakteristisches Flair verleiht.

Bin ich eigentlich ein Optimist, wenn ich darauf hoffe, dass "Topolinia 20802" irgendwann auch in Deutschland veröffentlicht wird? Vermutlich. Zu anders ist der Comic, zu originell - und vor allem: zu lang. Hierzulande fürchtet man Geschichten dieser Art ja leider wie der Teufel das Weihwasser. Die Italiener scheinen in dieser Hinsicht etwas aufgeschlossener zu sein, bedenkt man, dass im Topolino mittlerweile bereits die zweite Staffel erschienen ist. Ganz offenbar wollten die Leser gerne wissen, wie es weitergeht. Und seien wir ehrlich: Genau darauf kommt es bei Serien im Endeffekt an.

Storycode: I TL 2811-1P
Originaltitel: Topolinia 20802
Story: Fausto Vitaliano, Alberto Savini, Giorgio Salati
Zeichnungen: Marco Ghiglione, Giuseppe Dalla Santa, Casty, Lorenzo Pastrovicchio

Mittwoch, 14. September 2011

Der zweitreichste Mann der Welt

Falls es jemand noch nicht mitbekommen hat: 2011 ist das Jahr der Jubiläen. 60 Jahre Panzerknacker, 50 Jahre Kuno Knäul, 50 Jahre Gundel Gaukeley, 50 Jahre Klaas Klever - und nicht zu vergessen: 55 Jahre Mac Moneysac. Natürlich werden jetzt einige Zweifler rummotzen: "55 Jahre sind doch kein Jubiläum!" Dazu sag' ich nur soviel: Jubiläum ist, wenn Ehapa 'ne Sonderedition auf den Markt bringt, kapiert? Es ist nun weiß Gott kein Zufall, dass dem alten Fossil ausgerechnet im September 2011 Titelgeschichte und Cover des Lustigen Taschenbuchs gewidmet sind, in welches es sich ja sonst nur überaus selten verirrt. Bei einem dermaßen runden Geburtstag lässt sich der Verlag eben nicht lumpen. Ehre, wem Ehre gebührt!
Ich spring' ja gern auf Züge auf. Bildlich gesprochen, versteht sich. Und wenn es gerade angesagt ist, Mac Moneysac zu ehren, will ich selbstredend nicht zurückstehen. Weil ich zugleich aber auch faul und einfallslos bin, beschränkt sich meine Ehrerbietung darauf, einige Worte über den ersten Comic-Auftritt des grantigen Bindfadenfetischisten zu verlieren.


Bedanken können wir uns bei Barks. Mal wieder. An Ideen, wie er seinen Protagonisten das Leben schwer machen könnte, hat es dem 'guten Zeichner' ohnehin nie gefehlt. Diesem schöpferischen Sadismus haben wir einige der markantesten Bösewichte in der Welt der Disney-Comics zu verdanken, unter denen der 1956 eingeführte Mac Moneysac schon allein deshalb heraussticht, weil er als das Spiegelbild einer Figur konzipiert ist, die wir gemeinhin zu den 'Guten' zählen. Als solches erfüllt er hauptsächlich die Funktion, die zahllosen Schattenseiten seines Antagonisten hervortreten zu lassen. Es ist daher sicher nicht abwegig, "Der zweitreichste Mann der Welt" als eine Charakterstudie über Dagobert Duck zu interpretieren.

Doch der Reihe nach: Alles beginnt damit, dass Dagobert in der Zeitung von einem gewissen Mac Moneysac erfährt, der für sich in Anspruch nimmt, der reichste Mann der Welt zu sein. Da er dies nicht auf sich sitzen lassen kann, reist er schnurstracks nach Südafrika, um den dort lebenden Rivalen in seine Schranken zu weisen. Als sich herausstellt, dass die beiden beängstigend ähnlichen Kontrahenten über dasselbe Gesamtvermögen verfügen, soll ein Bindfadenvergleich die Entscheidung bringen.
Vordergründig beruht die Spannung also auf der Ungewissheit, wer diesen absonderlichen Wettkampf am Ende für sich entscheiden wird. Für beide geht es um nichts Geringeres als den Endsieg.


Ja, ihr habt richtig gelesen: Endsieg. Ich gehöre zwar nicht zu denen, die sich nicht trauen, über deutsche Autobahnen zu reden, aber hier bin ich schon kurz zusammengezuckt. Immer wieder für eine kleine Überraschung gut, die Frau Dr. Fuchs. Nun denn, Kuriosum am Rande.
Wenden wir uns wieder dem Jubilar zu. Von Anfang an wird deutlich, dass ihn mit Dagobert wesentlich mehr verbindet als bloß der unermessliche Reichtum. Sei es der Geldspeicher, das tägliche Geldbad oder das zwanghafte Hamstern alter Bindfäden: In Mac Moneysac begegnet dem alten Pfennigfuchser die Verkörperung all seiner Macken. Auf diese plötzliche Konfrontation mit dem eigenen Ich reagiert er mit Selbstverleugnung.


Du sagst es: Einfach unmöglich! Nur gut, dass dir das nie passieren könnte, stimmt's Bertel?


Dagoberts Selbstsicherheit erweist sich in diesen Szenen als oberflächlich. Er ist durchaus nicht auf jede seiner Eigenheiten stolz, sondern scheint seine Fehler vielmehr zu verdrängen. Wenn sie ihm dann vor Augen geführt werden, kritisiert er sie, ohne diese Kritik jedoch auf sich selbst zu beziehen. Die unreflektierten Selbstzweifel der Figur sind hier zwar nur angedeutet, verleihen ihr aber dennoch weitere Tiefe.
In einigen Situationen treibt ihn die Auseinandersetzung mit seinem Alter Ego sogar dazu, seine wahrhaft dunklen Seiten zu offenbaren. Diese treten gerade deshalb so deutlich hervor, weil er sich mitunter noch gewissenloser verhält als sein Kontrahent. So schreckt er nicht davor zurück, das Leben seines Rivalen aufs Spiel zu setzen, um diesen letztlich absurden Wettkampf für sich zu entscheiden.


Dass wir als Leser dennoch zu Dagobert halten, ist nicht dessen moralischer Überlegenheit geschuldet, sondern unserer grundsätzlichen Sympathie für die Figur. Wir kennen den alten Knauser halt schon eine Weile und haben ihn lieben gelernt - mit all seinen Schwächen.
Zu diesen Schwächen zählt nicht zuletzt sein materialistischer Lebensentwurf. Sein Streben nach Reichtum ist bloßer Selbstzweck. Gerade weil er sich in erster Linie über seinen Status definiert, der reichste Mann der Welt zu sein, stellt Mac Moneysac für ihn mehr dar als nur einen Geschäftskonkurrenten. Er ist der Feind, da er Ansprüche auf einen Titel erhebt, welcher Dagoberts Existenz allererst ihren Sinn verleiht.


Dass dieser Titel letztendlich durch einen Bindfadenvergleich entschieden wird, ist eine ebenso originelle wie satirische Wendung. Die Wertlosigkeit des ausschlaggebenden Gegenstandes verdeutlicht nämlich nicht nur die schiere Irrwitzigkeit des Wettstreites, sie steht auch sinnbildlich für das Phänomen des funktionslosen Akkumulierens von Gütern.

Wenn ich Mac Moneysac anfangs einen Bösewicht genannt habe, so trifft diese Bezeichnung auf die ursprüngliche Konzeption der Figur nur bedingt zu. Erst in der drei Jahre später erschienenen Story "Der reichste Mann der Welt" sind die Rollen dann klar verteilt: Weil Dagobert dort mit lauteren Mitteln agiert, hebt er sich von seinem betrügerischen Widersacher ab, der von nun an auf den Part des Schurken festgelegt ist. Während ihn jedoch bei Barks mitunter noch Gewissensbisse plagen, reduzieren ihn andere Künstler in der Folge auf das Bild des skrupellosen Fieslings.

Storycode: W US 15-02
Originaltitel: The Second-richest Duck
Story: Carl Barks
Zeichnungen: Carl Barks

Mittwoch, 31. August 2011

Maus im Trenchcoat - Frau in Zartrosa

Bei Egmont sprudelt man ja bekanntlich vor Ideen. Ob dies der frischen Seeluft in Dänemark geschuldet ist? Wir werden es wohl nie erfahren. Die Einführung der Reihe "Ein Fall für Micky" stellt dabei nur einen der zahlreichen kreativen Höhenflüge dar. Über die Ursprünge des Projekts ist nur wenig bekannt. Ich habe aber so meine Vermutungen. Wahrscheinlich schwang sich eines Tages einer der Mitarbeiter auf und rief: "Hey, lasst uns der Maus einen Trenchcoat kaufen! Der passt zwar überhaupt nicht zu ihren seltsamen Schuhen, aber bei dem Sauwetter, das in unseren Storys künftig herrschen wird, kann sie ihn gut gebrauchen." Gesagt, getan. Die Maus wurde neu eingekleidet, nur um sie einige Jahre später bis aufs letzte Hemd auszuziehen. Dass sich Micky hierbei nicht erkältet hat, grenzt an ein Wunder. Lediglich die Leser reagierten verschnupft. Aber das ist eine andere Geschichte...


Doch genug des Spottes. Was steckt wirklich hinter dem Anfang der 90er Jahre entwickelten Konzept? In erster Linie ist es eine Beförderung Mickys vom Hobbyschnüffler zum professionellen Privatdetektiv. Als solcher lebt er natürlich nicht in einem spießigen Einfamilienhaus. Ein echter Detektiv wohnt in einem verlausten Büro. Auch Freunde kann man sich in dieser Position verständlicherweise nicht leisten. Lächerliche Lackel wie Goofy oder treuherzige Handwerkerseelen wie Rudi würden einfach nicht ins Bild passen. Also weg mit denen. Dasselbe gilt für Dauerversager à la Kater Karlo. Dieses Entenhausen ist nur was für harte Kerle. Und genau das macht den Reiz der Serie aus.
In Deutschland erschien der Großteil der Geschichten aus dieser Reihe in den "Ein Fall für Micky"-Hundertseitern. Mit einigen wenigen Ausnahmen: "Die Frau in Zartrosa", geschrieben von Bob Langhans und gezeichnet von Joaquín, ist eine solche. Diejenigen, die sogar nach der Lektüre meines Textes noch Lust verspüren, den Comic zu lesen, seien auf das Lustige Taschenbuch Nr. 222 verwiesen.

Zur Handlung nur soviel: Micky ist vergiftet worden. Bei der Suche nach dem Gegengift muss er sich notgedrungen auf ein makabres Katz-und-Maus-Spiel mit seiner Mörderin in spe einlassen. Findet er sie nicht rechtzeitig, ist sein Schicksal besiegelt. Es beginnt ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit, den der zunehmend geschwächte Mäuserich nur mit Hilfe eines zwielichtigen Kollegen gewinnen kann.
Klingt spannend, oder? Ist es auch. Noch bemerkenswerter als die Story ist in meinen Augen jedoch der für einen Disney-Comic ungewöhnliche Umgang mit dem Thema Tod. Zwar schweben die Entenhausener auch sonst gelegentlich in Lebensgefahr, die Bedrohung ist allerdings zumeist lediglich implizit vorhanden und nur vorübergehend akut. Hier hingegen basiert die gesamte Geschichte auf der Prämisse des nahezu unausweichlichen Ablebens ihres Protagonisten. Langhans lotet die Grenzen des Erlaubten aus: Er spielt mit einem Tabu, ohne es letztendlich zu brechen. Das Motiv des Todes wird dabei nicht auf seine dramaturgische Funktion reduziert, es bestimmt auch die Atmosphäre des Geschehens. Das gipfelt an einigen Stellen in eine Ästhetik des Morbiden, wie man sie in einem Disney-Comic nicht erwarten würde.


Micky kann sich für dieses kunstvolle Arrangement offenbar nicht erwärmen. Wer will es ihm verdenken? Doch auch den Leser beschleicht ein mulmiges Gefühl: Obgleich die 'Leiche' nur aus Wachs ist, erweist sich das Bild als wirkungsvoll, weil es dem Leser die Möglichkeit des Undenkbaren vor Augen führt.
Der drohende Tod Mickys ist noch aus einem anderen Grund reizvoll: Auf einen Schlag befindet sich der toughe Ermittler in einer Situation äußerster Schwäche und Ausgeliefertheit. Welche Entscheidungen wird er in dieser extremen Lage treffen? Auch hier zeigen sich Unterschiede zur traditionellen Charakterisierung der Figur. Nicht nur, dass die Trenchcoat-Maus nicht davor zurückschreckt, Unschuldige zu bedrohen, sie akzeptiert auch die Hilfe eines mehr als halbseidenen 'Kollegen'. Sicher, Mickys übliche Freunde sind nicht anwesend und Kommissar Hunter erweist sich als wenig hilfreich. Insofern muss ihm im Grunde jede Unterstützung recht sein, die er bekommen kann. Dennoch: Die unkonventionelle Kooperation ist Sinnbild einer gnadenlosen Welt, in der man es sich nur selten erlauben kann, Skrupel zu haben. Es ist schlichtweg ein etwas anderes Entenhausen, in dem sich Micky bewegt. Dies muss bei der Bewertung seines Verhaltens berücksichtigt werden.
Was hat es nun überhaupt mit diesem 'Kollegen' auf sich? Viel erfährt der Leser nicht über ihn, außer dass er Ricko heißt und gerne seine Klienten behumpst. Dass er ein unangenehmer Geselle ist, wird an mehreren Stellen deutlich. Hier zum Beispiel:


Naja, ich sagte es ja bereits: Nur für harte Kerle! Ricko ist so einer. Für Micky ist das ein Segen, da ihn die Kräfte zunehmend verlassen und es in seiner Lage mit detektivischem Spürsinn allein nicht getan ist. Ohne die tatkräftige Hilfe des resoluten Rauhbeins wäre er geliefert. Womit ich bei einem weiteren Aspekt angelangt bin, der diesen Comic vom Gros abhebt: Die tiefgründige Behandlung des Themas Freundschaft. Nicht zufällig ist es ausgerechnet ein kleinkrimineller Schmalspurschnüffler, der Micky in dessen schwächster Stunde als Einziger zur Seite steht. Auch wenn die beiden sonst nicht viel verbindet: Als es drauf ankommt, erweist sich Ricko als Freund in der Not. Ein alter Bekannter wie der Gesetzeshüter Hunter hingegen belässt es bei Gesten, die genauer betrachtet halbherzig wirken. In einer Welt, in der sich selbst charakterlich fragwürdige Figuren zu wahrer Größe aufschwingen können, verliert die in Disney-Comics oft strikte Grenze zwischen den Guten und den Bösen an Konturen. Man könnte auch sagen: Die moralische Stellung der Akteure ist nicht mehr durch ihre gesellschaftliche Rolle definiert, sondern einzig und allein durch ihre Handlungen.

Solche Überlegungen machen deutlich, warum es vonnöten war, Micky sozial zu entwurzeln. Die Serie würde nicht funktionieren, wenn er weiterhin in einem intakten Umfeld leben dürfte. Nun kann man das Fehlen der vertrauten Figuren und des klassischen Disney-Charmes natürlich als Manko auffassen. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass dieser Charme auch seinen Preis hat: Er beschränkt die Künstler in ihren Möglichkeiten. Hin und wieder schadet es daher sicher nicht, unbeschrittene Wege zu erkunden.

Storycode: D 94021
Originaltitel: The Woman In Lavender
Story: Bob Langhans
Zeichnungen: Joaquín Cañizares Sanchez

Donnerstag, 4. August 2011

Dr. House... äh... Mouse

Ich hab's ja nicht so mit Krankenhausserien. Wirklich nicht. Das Setting deprimiert mich einfach. Ist halt so. Entsprechend wenig bin ich mit der Erfolgsserie Dr. House  vertraut. Klar, jeder kennt Hugh Laurie in der Rolle des exzentrischen Misanthropen. Aber darüber hinaus? Nur gut daher, dass die vor zweieinhalb Jahren in Italien erschienene Parodie aus der Feder von Fausto Vitaliano ihren Weg bisher nicht nach Deutschland gefunden hat. Ich würde ja gar nichts verstehen - Hilfe! Nun, Egmont Ehapa beschützt uns zum Glück vor solchen peinlichen Situationen. Literatur-, Film- oder Serienparodien im LTB? Die Verkaufszahlen würden vermutlich drastisch zurückgehen. So ein obskures Zeug kann man ja niemandem zumuten.
Tor, der ich bin, lese ich aber auch das französische Pendant zum LTB. Und prompt gehe ich in die Falle. Tischen uns doch die Franzosen dieses Machwerk auf! Was sagt man dazu?! Zähneknirschend habe ich mich dazu durchgerungen, dem Comic eine Chance zu geben - obwohl ich Einheitsbrei bevorzuge und Micky doof finde. Aber tun wir das nicht alle?

Also zur Sache: Who the hell ist eigentlich dieser Dr. Mouse?


Ach, der da!
Ich weiß nicht, was ich besser finden soll: Die Sänfte oder den schwungvollen Dreifachhieb mit dem Gehstock? Wie auch immer. Im Kino (und auch in TV-Serien) besteht die Kunst darin, die Hauptfigur auf prägnante Art und Weise einzuführen. Man zielt damit darauf ab, eine bestimmte Reaktion beim Zuschauer zu bewirken, beispielsweise: "Ah, um den geht's. Der macht einen interessanten Eindruck!" Vitaliano und Perina meistern diese Anforderung gekonnt. Die Quintessenz seines Charakters wird bereits in diesem ersten Bild mehr als deutlich: Mouse ist ein arroganter Zyniker, der uns trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - zum Lachen bringt. Von allen verwendeten Figuren agiert Micky am deutlichsten out of  character. Vom selbstlosen Musterbürger ist hier keine Spur: Mouse ist respektlos gegenüber seiner Vorgesetzten (Minni  als Dr. Lisa Cuddy), herablassend gegenüber seinen Mitarbeitern und schlichtweg dreist im Umgang mit seinen Patienten. Beispiel gefällig?


Messerscharfe Dialoge sind ohnehin eine Spezialität von Vitaliano. Hier läuft er zur Hochform auf.
Mouse interessiert sich offenkundig nicht für das Wohl  seiner Patienten. Er fühlt sich hilflos unterfordert und verarbeitet die Langeweile, indem er seine Umwelt piesackt. Ebenso wie seine Vorlage ist auch Mouse Spezialist für außergewöhnliche Krankheiten. Der Krankenhaus-Alltag ist ihm daher ein Gräuel. Beispielhaft hierfür ist das folgende Panel, in welchem Mouse sein Problem ausformuliert: "Seht euch bloß diese Patienten an, mit ihren banalen, uninteressanten Leiden... Es ist deprimierend!"


Auch dieses Panel strotzt vor kleinen Gags: Man achte auf die Würgeschlange! Zugegeben, der Patient mit Wartenummer 1113 ist ebenfalls nicht ohne.
Die Gags und trockenen Dialoge bilden fraglos das Zentrum der Story. Die Handlung, auf welche ich nicht eingehen werde, für den Fall dass es der Comic doch noch nach Deutschland schafft, ist dagegen recht unspektakulär. Insofern ähnelt die Parodie eher der Comedy-Serie Scrubs. Lebensbedrohliche Krankheiten, menschliche Tragödien und ähnliche Spaßbremsen werden ausgeblendet. Die dramatische Tiefe der Vorlage erreicht Vitalianos Adaption zu keinem Augenblick. Sie versucht es erst gar nicht. Und das ist auch gut so. Hirnblutungen & Co. haben in einem Disney-Comic nichts verloren. Sag ich jetzt mal.
Woran leiden die Patienten dann eigentlich? An einem eingewachsenen Nagel. Zumindest wenn man Goreman (Goofy) Glauben schenkt. Womit wir auch schon bei  den Assistenzärzten wären: Besagter Goreman, Cheesecake (Rudi) und Clarison (Klarabella). Deren Hauptfunktion besteht darin, sich gegenseitig herunterzuputzen. So wie hier:


 Oder auch hier:


*Hunz*. Wenn das mal nicht ein Soundword ist, das sich gewaschen hat. Schon allein dafür lohnt es sich, fremdsprachige Disney-Publikationen zur Hand zu nehmen.
Es wäre unpräzise, Goofy, Rudi und Klarabella als komische Sidekicks zu bezeichnen. Sicher, sie sind komisch. Aber die Hauptfigur ist es in noch stärkerem Maße. Normalerweise funktionieren Comics nicht, in denen alle Figuren außer Rand und Band sind. Es bedarf eines ernsthaften Gegenwichts, durch welches die Komik überhaupt erst zum Tragen kommt. Für dieses sorgen hier die Patienten, welche dem Irrsinn fassungs- und hilflos gegenüberstehen. Vitaliano reizt die Absurdität bis zur Albernheit aus. Der schmale Grat zwischen Komik und Lachhaftigkeit wird allerdings nur selten überschritten. Es mag Geschmackssache sein, aber einige Ideen finde ich einfach... verdammt witzig. Ärzte, die im Park auf potenzielle Patienten Jagd machen, ist eine davon.


An dieser Stelle sei auch das Artwork Perinas gewürdigt: Seine bildliche Umsetzung setzt der ohnehin schon lustigen Idee die Krone auf. Die Mimik der Figuren ist schlichtweg herrlich - und das nicht nur in diesem Panel.
Interessant ist nicht zuletzt, dass Vitaliano eine Figur entwirft, die Micky charakterlich zwar nicht im Geringsten ähnelt, dennoch aber dessen ewigem Schicksal nicht entgeht: Auch Dr. Mouse findet sich schließlich in der Rolle des Detektivs wieder. Maus kann halt nicht aus seiner Haut.

Lange Rede, kurzer Sinn: Liebe Redaktion, druckt diesen Comic in Deutschland ab! Aber dalli! Wenn mich nicht alles täuscht, hatten die Finnen mal  wieder ihre Finger im Spiel, also muss wohl eine Nebenreihe dafür herhalten. Auch recht. Ich meine: Was spricht dagegen? 69 Seiten Maus? Dass es eine Parodie ist? Lasst mich eure Bedenken entkräften: Selbst ein Ignorant wie ich war in der Lage, der Story zu folgen. Sicher, ich kann's verstehen: Gagstorys mit Helferlein, Achtmalacht oder Nimmermehr haben natürlich Vorrang. Aber wenn ihr mal  den Platz findet, dann zaudert nicht! Gott wird's euch vergelten. Naja, zumindest die Leser. Amen.

Storycode: I TL 2775-1P
Originaltitel: Dr. Mouse M.D.
Story: Fausto Vitaliano
Zeichnungen: Alessandro Perina