Dienstag, 28. Februar 2012

Goofy als Reporter

"Goofy was simply a half-wit. I could never understand what was supposed to be funny about a half-wit." Mit diesem vernichtenden Urteil sprach Carl Barks vor rund zwanzig Jahren unserem Lieblingslulatsch die Daseinsberechtigung ab. Zumindest implizit. Wer braucht schon einen Komiker, der nicht lustig ist? Ich wage allerdings zu behaupten, dass die kritische Einschätzung des Altmeisters auf einem einseitigen Verständnis der Figur beruhte. Gewiss, wenn man ihn auf die Rolle des Schwachkopfs reduziert, dann ist Goofy bestenfalls für ein paar flache Gags zu gebrauchen. Es gilt daher, auszuloten, welche anderen Möglichkeiten der Charakterisierung in der Figur angelegt sind. Hierzu bedarf es freilich eines fähigen Autors. Oder, wie im Falle Teresa Radices, einer fähigen Autorin. Kennt ihr nicht? Solltet ihr aber!
Nachdem sie zuvor hauptsächlich an Skripten für die italienische Comicreihe "W.i.t.c.h." gearbeitet hatte, rief die gebürtige Mailänderin 2009 gemeinsam mit Zeichner und Lebensgefährte Stefano Turconi die Serie "Pippo reporter" ins Leben. Ein ambitioniertes Projekt - und das in mehreren Hinsichten. So ist zunächst einmal der künstlerische Anspruch unverkennbar, eine Stimmung zu erzeugen, die den Leser in die USA der 1930er Jahre zurückversetzt. Zudem werden dank der unverbrauchten Konstellation auch erzählerisch neue Wege beschritten. Der Kunstgriff, auf Micky fast vollständig zu verzichten und dafür dessen ewigen Sidekick zum Protagonisten zu erheben, eröffnet der Autorin nämlich nicht nur größere Freiheiten im Storytelling, sondern verschafft ihr auch die Gelegenheit, der traditionellen Figurendynamik ungeahnte Aspekte abzugewinnen.


Neun Episoden sind bislang in Italien erschienen, von denen immerhin fünf den Weg nach Frankreich gefunden haben. Ob weitere folgen werden, ist angesichts der oft launischen Publikationspolitik der Franzosen derzeit nicht abzusehen. Für Deutschland ist nach letztem Stand eine Veröffentlichung am Sankt-Nimmerleins-Tag geplant.

Kommen wir nun zur Ausgangssituation: In einer namenlosen Großstadt an der US-amerikanischen Ostküste begegnen wir im Jahre 1933 einigen alten Bekannten wieder. Während die Stadt vom gutherzigen Bürgermeister Rudi Ross regiert wird, intrigiert im Hintergrund Plattnase, der als Verleger der auflagenstarken Tageszeitung "The Morning Blot" zugleich in die kriminellen Machenschaften einer von Kater Karlo befehligten Gangsterbande verwickelt ist. Unter den Journalisten des "Morning Blot" sticht derweil Goofy hervor, dem trotz seines schlichten Gemüts ein Scoop nach dem anderen gelingt, wobei er nicht selten die finsteren Pläne seines Chefs durchkreuzt, ohne es überhaupt zu bemerken. Tatkräftige Hilfe erhält er hierbei von seiner ebenso schusseligen wie liebenswürdigen Nachbarin Minni sowie der Wahrsagerin Klarabella.


Auf diesem trauten Fahndungsbild ist sie also vereint: Karlos Gangsterbande. Ein ulkiger Haufen, wie sich unschwer erkennen lässt, dessen Funktion in erster Linie darin besteht, für Belustigung zu sorgen. Unter den karikaturesk überzeichneten Schmalspurganoven stechen indes zwei Gestalten ganz besonders hervor: Biagio, der abergläubische Pessimist, dessen jederzeit geöffneter Regenschirm Sinnbild seiner Lebenshaltung ist, sowie Donnie, die einfältige Frohnatur, deren Verfressenheit der Bande mehr als einmal zum Verhängnis wird. Angesichts solcher Mitstreiter kann man Karlo trotz seiner schurkischen Absichten letztlich nur bemitleiden. So muss er nicht bloß ohnmächtig mit ansehen, wie seine Gaunereien ein ums andere Mal in einem Fiasko enden, sondern sich zu allem Überfluss auch noch vor Plattnase verantworten und dessen Zorn erdulden.
Insofern sich die Gangster regelmäßig selber schlagen, bleibt für Goofy nicht mehr allzu viel zu tun. Sein einziges Verdienst besteht in den meisten Fällen darin, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Entsprechend sind seine Erfolge mehr dem Zufall als seinen investigativen Fähigkeiten geschuldet. Im Grunde ist das durchaus konsequent, bedenkt man, dass er bereits seine Anstellung als Reporter einer glücklichen Fügung zu verdanken hatte. Er wollte eigentlich nur eine Pizza bestellen...


Das Motiv der glücklichen Fügung zieht sich von da an wie ein roter Faden durch die einzelnen, in sich abgeschlossenen Episoden. Sinnbildlich hierfür steht diese kleine Slapstick-Einlage:


Böse Zungen werden jetzt vom Glück des Dummen reden. Dabei legt Radices Charakterisierung Goofys im Grunde eine andere Deutung nahe. Erfolgreich ist er in meinen Augen gerade deshalb, weil er keine Ansprüche stellt und mit grenzenlosem Optimismus durchs Leben wandelt. Anstatt sich krampfhaft Ziele zu setzen, nimmt er die Dinge, wie sie kommen - und fährt gut damit! Man könnte auch sagen: So wie die pessimistische Haltung von Karlos Komplize Biagio das Unheil regelrecht heraufbeschwört, lässt Goofy durch seine ebenso naive wie unerschütterliche Zuversicht eine Wirklichkeit entstehen, die seiner Lebenseinstellung entspricht. Wahrnehmung und Realität verschmelzen hier zum Vorteil des Optimisten. Aus dem von Barks einst verpönten "half-wit" wird bei Radice somit ein bewundernswerter Lebenskünstler.


Die Segelohren kommen euch vermutlich bekannt vor. Wie ein Running Gag zieht es sich durch die ersten fünf Folgen, dass Micky generell nur von hinten oder in der Silhouette zu sehen ist. Zugleich erwähnt Minni immer wieder ihren Verlobten, der wegen dringender Geschäfte jedoch nie zugegen ist. Nun lassen diverse Hinweise zwar vermuten, wer sich dahinter verbirgt, zu einer Auflösung des Rätsels ist es bisher aber noch nicht gekommen.
Was an diesem Panel ebenfalls deutlich werden sollte, ist die hohe Qualität des Artworks, welches sich durch erstaunliche historische Präzision auszeichnet. Gekonnt fängt Turconi die Architektur und Mode der Zeit bildlich ein und erzeugt auf diese Weise einen akkuraten Hintergrund, von dem sich seine comichaft überspitzten Figurenzeichnungen kontrastiv abheben, womit er auf eine Technik zurückgreift, der sich auch Cavazzano in seiner Techno-Phase gerne bedient hat.


Bei allem Lob für das Artwork darf natürlich die Kolorierung nicht vergessen werden. Diese unterscheidet sich markant von der üblichen italienischen Farbgebung und trägt entscheidend zum Ambiente bei. So geben einem die an manchen Stellen überwiegenden Sepiatöne das nostalgische Gefühl, vergilbte Photographien zu betrachten, während andere Panels wiederum ausgeprägte Farbkontraste aufweisen, welche die Lebhaftigkeit des Geschehens zusätzlich akzentuieren. Beispielhaft hierfür steht diese Panelsequenz, welche nicht nur das den Jazz bestimmende Prinzip der Improvisation in humorvoller Manier verbildlicht, sondern auch die alte Cartoon-Technik des Zusammenspiels von Musik und Bewegung auf das "stumme" Medium des Comics anwendet.


Ist es nicht göttlich, wie der Pianist während des Spielens noch die Zeit findet, sich an der Schlägerei zu beteiligen? Aus Hintergrundgags wie diesem spricht der Spaß, den Radice und Turconi offensichtlich bei der Ausarbeitung ihrer Storys hatten - ein Spaß, der ansteckend wirkt. Ohnehin ist es nicht so sehr der Inhalt des Erzählten als vielmehr die Weise des Erzählens, welche den Reiz der Serie ausmacht. Und so stört es auch nicht weiter, dass die Plots der Episoden für sich genommen vergleichsweise simpel und unspektakulär daherkommen. Denn letzten Endes zählt die Umsetzung. Und die ist ohne jede Frage gelungen.

Alles in allem gilt es festzuhalten, dass "Pippo reporter" zu den interessantesten italienischen Disney-Comics der vergangenen Jahre gehört. Während sich die meisten aktuellen Autoren darauf beschränken, altbewährte Storymuster bloß zu reproduzieren, beweist das Duo Radice/Turconi sowohl hinsichtlich des Settings als auch in Bezug auf die Figurenkonstellation ein gehöriges Maß an Kreativität. Und so ist den beiden Künstlern eine Serie geglückt, welche nicht nur bestens unterhält, sondern auch die richtige Balance zwischen Originalität und Traditionsbewusstsein zu halten versteht. Es bleibt dabei: Disney und die 1930er Jahre - das passt einfach.

Storycode: I TL 2807-1 u.a.
Originaltitel: Pippo reporter
Story: Teresa Radice
Zeichnungen: Stefano Turconi

Montag, 20. Februar 2012

Der geheimnisvolle Golo Ganter

Es geht doch nichts über eine gepflegte Verwechslungskomödie! Während sich die Figuren abmühen, ohne zu begreifen, was eigentlich Sache ist, genießt das Publikum seine Überlegenheit und lehnt sich mit einem wissenden Lächeln zurück. Anstatt mit den Protagonisten mitzufiebern, amüsiert es sich über die Missverständnisse, in welche diese sich verstricken. Jeder Mensch ist eben bis zu einem gewissen Grad sadistisch veranlagt. Oder habt ihr eine bessere Erklärung parat? Geschenkt. Denn selbst wenn wir von elaborierten laienpsychologischen Erklärungsversuchen absehen, so bleibt doch die Erkenntnis bestehen, dass das Motiv der Verwechslung seit jeher zum Grundstock der humoristischen Literatur gehört. Wie ein roter Faden zieht es sich durch die Geschichte der Komödie: Von Plautus bis Shakespeare, von Nestroy bis Faraci.
Ihr habt richtig gelesen: Faraci. Warum auch nicht? Zugegeben, er ist kein Shakespeare. Zumindest wurde ihm bisher noch nicht die Urheberschaft an seinen Werken abgesprochen. Aber trotz dieses kleinen Makels darf der vermutlich versierteste Humorist unter den modernen italienischen Comic-Autoren nicht unerwähnt bleiben, wenn es um Verwechslungskomödien geht. Wer sich davon selbst überzeugen will oder wer einfach nur erfahren möchte, was den scheinbar so abgebrühten Türsteher hier aus der Fassung bringt, dem sei "Der geheimnisvolle Golo Ganter" ans Herz gelegt.


Es ist eine dieser Storys, deren Bekanntheit in keinem Verhältnis zu ihrer Qualität steht. Abgesehen von ihrem Entstehungsland Italien, wo sie in der Nebenreihe "Paperino Mese" veröffentlicht wurde, erschien sie bislang lediglich in Griechenland und Deutschland. Ein Grund mehr, sich an dieser Stelle etwas näher mit ihr zu beschäftigen.

Zunächst zur Handlung: Um den berühmten Designer Golo Ganter für sein Modehaus zu engagieren, veranstaltet Dagobert zu dessen Ehren eine High-Society-Party. Dabei fällt Donald die Aufgabe zu, den Modezar vom Flughafen abzuholen und auf die Party zu begleiten. Da die Einladung für zwei Personen gilt und Donald Franz das üppige Büffet nicht vorenthalten möchte, verabredet er sich mit ihm vor dem Eingang des Clubs. Nun verhindert jedoch der dichte Nebel an diesem Abend, dass Ganters Privatjet rechtzeitig landet, so dass Franz alleine eintrifft und sogleich für Golo Ganter gehalten wird, den kaum einer je zu Gesicht bekommen hat. Zur gleichen Zeit nimmt Donald aufgrund des Nebels die falsche Abfahrt und landet zusammen mit dem echten Designer auf einem ländlichen Bürgerfest. Eine durchaus heilsame Verwechslung, wie sich bald herausstellt...
Die Komik beruht in erster Linie darauf, dass Franz für Ganter gehalten wird, ohne dass er sich dessen bewusst ist. Daraus ergibt sich eine Reihe von Missverständnissen, die veranschaulichen, wie doppeldeutig doch die Sprache ist, wenn die Kommunizierenden von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen. So kommt es dazu, dass Franz die Aussagen und Fragen der anderen Gäste in einem allzu buchstäblichen Sinne versteht.


Die Gäste wiederum legen in seine unschuldigen Antworten eine nicht vorhandene tiefere Bedeutung, da sie in dem Irrglauben befangen sind, mit einem Modezar zu sprechen.


Faraci lässt die sich hieraus entwickelnde Komik jedoch nicht in einer Szene kulminieren, welche die Verwechslung aufklärt. Das Missverständnis bleibt vielmehr bis zum Schluss bestehen und erweist sich kurioserweise als Glücksfall für alle Beteiligten. Während nämlich die Party dank Franz und seiner ebenso jovialen wie sinnenfreudigen Art auf Hochtouren läuft, entdeckt Golo Ganter auf dem Bürgerfest die Vorzüge des einfachen Lebens wieder. Dieser erzählerische Twist hebt die Story geschickt vom Gros der Verwechslungskomödien ab, indem er eine philosophische Dimension ins Spiel bringt. So kommt die Loslösung von der eigenen Identität im Falle Ganters einer lang ersehnten Befreiung gleich.


Man achte bei dieser herrlichen Panelsequenz darauf, dass sich der Hintergrund ständig verändert, während im Vordergrund relativ wenig geschieht. Diese von Faraci gerne verwendete Technik erlaubt es, den Erzählrhythmus zu variieren und einzelne Szenen präziser zu entwickeln. Durch die geringe Bewegung im Vordergrund wird in diesem Fall nicht nur die Gemütlichkeit des Ambientes verdeutlicht, sondern auch die Zufriedenheit Golo Ganters veranschaulicht. Der zunächst als selbstgefälliger Schnösel eingeführte Designer profitiert von der Verwechslung genauso wie die dekadente Abendgesellschaft im Club, welche durch die Anwesenheit von Franz ihre Lebensfreude wiederentdeckt. Am Ende sind daher alle einer Meinung:


Das Artwork von Deiana lässt sich im positiven Sinne als adäquat bezeichnen. Nicht nur gelingt es ihm, Faracis Gags passend zu visualisieren, sondern er beweist auch gerade bei der zeichnerischen Gestaltung der Partygäste ein gewisses Maß an Kreativität. Nun gut, manch anderer Künstler hätte vermutlich mehr auf den Putz gehauen. Ich bin mir allerdings nicht einmal sicher, ob dies der Komik des Geschehens überhaupt zuträglich gewesen wäre.

Was bleibt, ist eine ebenso hervorragend konstruierte wie einfallsreiche Gagstory, die mit dem Verwechslungsmotiv geschickt spielt, ohne darin jedoch vollends aufzugehen. Darüber hinaus lässt sich Faracis Skript auch als ein Paradebeispiel dafür auffassen, wie man auf produktive Weise mit der oft kritisierten Figur des Franz Gans umgehen kann. Reduziert man den faulen Knecht auf seine abnormalen Schlaf- und Essgewohnheiten, so befindet man sich in einer narrativen Sackgasse. Konzipiert man ihn hingegen als einen Lebenskünstler, der mit einer Welt konfrontiert ist, die es verlernt hat, zu genießen, so eröffnet sogar diese scheinbar einseitige Figur unverbrauchte Möglichkeiten des humoristischen Erzählens.

Storycode: I PM 203-1
Originaltitel: Paperino, Ciccio e il mega-party modaiolo
Story: Tito Faraci
Zeichnungen: Salvatore Deiana